Rechtsanwalt und Strafverteidiger

 

Björn Schüller

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Cannabis MPU: PIMA Stuttgart hält wissenschaftliche saubere Methodik für überflüssig

Es scheint ein allgemeiner Trend bis hoch in die Spruchkammern des BVerfG zu sein, dass auf wissenschaftlich saubere Arbeit im grundrechtichen Bereich mehr und mehr gepfiffen wird.

 

Hatte doch der ehemalige Präsident des BVerfG, der schmerzlich vermisste Anreas Voßkuhle die saubere methodische Arbeit in interdisziplinären Gebieten angemahnt, so scheinen seine Worte heute mehr denn je verhallt und bewusst mißachtet. So schreibt Voßkuhle:

 

 

 

"Die Gretchenfrage: Wie hält es der Wissenschaftler mit der Methode? Wer sich und andere allzu häufig mit der Frage malträtiert: "Wie hältst Du  es mit der Methode?", begibt sich nicht auf nur auf ein schwieriges und unübersichtliches Terrain."

 

Man liest weiter unter der Überschrift:

 

"Uninformierte Theorienimporte:

 

So geht die Bereitschaft unter den Rechtswissenschaftlern, auf die Erkenntnisse anderer Wissenschaften Rückgriff zu nehmen und zumindest multidisziplinär zu arbeiten, nicht immer einher mit genaueren Kenntnissen des in diesen anderen Disziplinen aktuellen Forschungsstands.

 

Ferner fehlt es nicht selten an einer Auseinandersetzunng mit den Möglichkeiten und Grenzen eines Theorietransfers. Erkenntnisse aus anderen Disziplinen durchlaufen in der Regel den Filter spezifischer Verwendungsmöglichkeit und erleben dabei einen Gestaltwandel.

 

Sie büßen auf diese Weise z.T. den vom professionellen Stab der jeweiligen Disziplin zugemessenen Erklärungsinhalt ein. Der Tendenz nach für die Assimilation zu einer Verwandlung, die häufig in einer Trivialisierung bersteht. Als Beispiel kann etwa auf den aktuellen Trend der Ökonomisierung verwiesen werden."

 

(Umwelt, Wissenschaft und Recht, Tübringen 2002, S. 171 ff, äußerst lesenswert)

 

Will heißen: Ich Bereich des Rechts und gerade dort in interdisziplinären Fragestellungen wird sich oft die Studie rausgesucht, die für das gewünschte Ergebnis her passt. Das Recht wird damit trivialisiert ausgehöhlt, der Beliebigkeit ausgeliefert und der Borniertheit, Faulheit und Weigerung der Beteiligten, der wissenschaftlichen Methodik den höchsten denkbaren Stellenwert einzuräumen.

 

Warum?

 

Weil es um den Schutz von Grundrechten geht. Wenn man auf die methodisch peinlichst objektive und saubere Arbeit im Bereich  interdisziplinärer Rechtsgebiete wie dem Fahrerlaubnisrecht verzichtet, so ist man als Feind der Grundrechte zu betrachten, da man die Grundrechte nicht für würdig genug hält, deren Schutzbereiche mit sauberer Arbeit zu schützen. Man behandelt dann Grundrechte in schäbigster Art und Weise, da man deren Wertigkeit durch unbegreifliche und vorsätzliche Methodenfehler in Abrede und sich und die eigene Meinung über die Grundrechte und die Wissenschaft stellt.

 

Dass der einzelne Mitarbeiter in den Fahrerlaubnisbehörden vielleicht nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügt auch und gerade hinsichtlich der Studienlage zu der Frage:

 

"Wie lange lässt sich THC nach dem Konsum in Blut / Urin / Haaren nachweisen?"

 

- geschenkt. Die richten sich nach der Rspr des jeweiligen Verwaltungsgerichts, welches die Grundrechte im Bereich von Cannabis Abbauwerten mit Füßen tritt.

 

Man sollte und darf (man zahlt schließlich dafür nicht eben wenig Geld) von Gutachtern der Begtuachtunggsstellen erwarten dürfen, dass diese zu wissenschaftlich fair-objektiver Arbeit fähig und willens sind. Man bezahlt doch für eine Arbeit de lege artis.

 

Das ist leider oft nicht der Fall. Hier also mal wieder die PIMA Stuttgart.

 

Der Mandant hatte eine MPU bei der Gutachterstelle gemacht. Dort wurde ein THC COOH Wert von 17 ng/ml gemessen. Der Mandant räumte ein, letztmalig von 6 - 7 Wochen Cannabis konsumiert zu haben.

 

Ob das stimmen kann oder nicht, ist wissenschaftlich nicht zu beweisen, da es keine Studien zu der Frage, wie lange sich qualitativ hochwertiges Cannabis in üblichen Konsummengen von zB 0,5 Gramm in Blut und Urin nachweisen lassen:

 

 

 

(Quelle: Gutachten des Insituts für Rechtsmedizin der Universität Mainz, 2019)

 

Angaben des Mandanten zum Konsum: Mal 1 x monatlich, mal alle 2 Wochen, mal alle 6 Wochen.

 

Angaben zu Art und Menge und Qualität des Cannabis: Wurden von der Gutachterstelle PIMA Stuttgart nicht erfragt. Informationen liegen also nicht vor.

 

Wir stellen also fest:

 

Keine auch nur annähungsweise vorhandene Ahnung, wieviel THC konsumiert worden ist.

 

Studienlage: Null.

 

Logisch eigentlich: Man kann die Aussage des Mandanten, der THC COOH Wert  bei der MPU von 17 ng/ml sei dem Konsum von vor 6 - 7 Wochen geschuldet, nicht  widerlegen.

 

Aber Logik und PIMA scheinen hier in diesem Fall in einem unauflösbaren Widerspruch zu stehen und so liest man im Gutachten was von "widersprüchlichen Angaben zum Drogenkonsum bzw. zu wissenschaftlichen Erkenntnissen": 

Die Gutachterstelle unterstellt dem Mandanten also, die Unwahrheit gesagt zu haben. Es läge ein Verstoß gegen die Hypothese 0 der Beurteilungskritierien vor.

 

Ein Verstoß gegen die Hypothese 0 dieser offenbar über der Wissenschaft stehenden "Prüfungsbibel" soll dann vorliegen, wenn eine Aussage des Betroffenen nicht zu vermeintlichen "wissenschaftlichen Erkenntnissen" passe, die dort auf ewig verbrieft sein sollen. Mit einem Freibrief versehen hinsichtlich der doch so profan erscheinenden wissenschaftlichen Arbeit, die man doch viel besser mit der eigenen Kompetenzillusion ersetzen kann.

 

Der Inhalt dieses Buches wird von nicht wenigen Gutachten offenbar als so sakrosankt und hochheilig angesehen, dass zwingende methodische Erwägungen dahinter zurück stehen müssen.

 

Die gutachterlich bestätigte Tatsache, dass es keine Studien gibt, die Aussagen zum Konsum qualitativ hochwertigen Cannabis gibt, hat hinter dem zurück zu stehen, was die Beurteilungskriterien dazu ausführen. Und was dieses Buch dazu ausführt, ist aus Studien entnommen, bei denen Probanden sehr viel weniger THC verabreicht worden ist, als bei dem Konsum von etwa 0,5 Gramm Cannabis mit 20 - 25 % Wirkstoffgehalt konsumiert wird. Wir reden von 6 - 12 x weniger.

 

Mit anderen Worten: Würde man wissenschaftlich arbeiten, wäre ein Rückgriff auf die Beurteilungskriterien in Fragen des Nachweiszeitfensters von THC / THC COOH unzulässig.

 

Mit welcher der Wissenschaft spottenden Arroganz dieser Umstand übergangen wird, bleibt mir ein Rätsel.

 

Das Gutachten wurde dann angefochten von mir - im Wortlaut:

 

 

"Das Gutachten enthält erhebliche wissenschaftliche Mängel.

 

 

 

Sie behaupten auf Blatt 16 / 17 des Gutachtens sinngemäß, der im Rahmen der Begutachtung gemessene THC COOH Wert von 17 ng/ml könne nicht auf einen letztmaligen Konsum stammen, der wie vom Mandanten dargelegt sechs bis sieben Wochen her sei.

 

 

 

Fakt ist aber, dass es keine aktuelle (und auch sonst keine) Studie gibt, die sich mit der Frage befasst, wie sich etwa Cannabis mit hohen Wirkstoffgehalt von zb 20 – 25 % bei einer Einzeldosis von zb 0,5 – 1 Gramm in zeitlicher Hinsicht abbaut.

 

 

 

Vgl hierzu:

 

 

 

https://www.anwalt.de/rechtstipps/die-luege-ueber-nachweiszeiten-von-drogen-in-urin-und-blut-cannabis-kokain-mdma-speed-u-v-m-200994.html

 

 

 

Das in dem Artikel benannte Gutachten finden Sie im Anhang zu diesem Schreiben.

 

 

 

Wenn keine Studien zu einer für das Gutachten relevante Frage (=kann ein THC COOH Wert von 17 ng/ml kausal auf einen Konsum vor 6 – 7 Wochen zurückzuführen sein?) vorliegen, dann ist diese Frage nach wissenschaftlichen Grundsätzen nicht zu beantworten. Es fehlt am Beweis für die Antwort, dass der THC COOH Wert von 17 ng/ml nicht mit einem Konsum vor 6-7 Wochen in Einklang zu bringen sei.

 

 

 

Das ist doch zwingende wissenschaftliche Methodik. Man braucht einen Beweis für sein Ergebnis.

 

 

 

Und diesen Beweis haben Sie nicht. Dann verlagern Sie diesen methodologischen Mangel auch noch in die Sphäre des Mandanten und behaupten, es läge eine Verstoß gegen die Hypothese 0 der Beurteilungskriterien vor. (...)

 

 

Es gibt aber mangels entsprechender Studien zwei Möglichkeiten hinsichtlich der Frage, ob der benannte THC COOH Wert auf einen Konsum vor 6 – 7 Wochen zurückgehen kann:

 

 

 

  • Aussage des Mandanten stimmt

  • Aussage des Mandanten stimmt nicht

     

 

Beide sind gleich wahrscheinlich. Sie entscheiden sich wissenschaftlich willkürlich für die den Mandanten belastende Variante. Das ist logisch nicht nachvollziehbar.

 

 

 

Dieses Gutachten wurde deshalb nicht de lege artis ausgeführt.

 

 

 

Sie bezichtigen den Mandanten, die Unwahrheit gesagt zu haben, ohne wissen zu können, ob Ihre Annahme stimmt oder nicht. Das ist wissenschaftlich grob unbillig.

 

 

 

Sie lassen aufgrund dieses von Ihnen letztlichen ausgedachten Verstoßes gegen die Hypothese 0 des Gutachten scheitern.

 

 

 

Sie kamen in dem Gutachten zu der Auffassung, dass es an sich glaubhaft sei, dass der Mandant gelegentlicher Konsument von Cannabis im Sinne der Beurteilungskriterien sei (=Hypothese D4, S. 16 des Gutachtens).

 

 

 

Es ist also anzunehmen, dass der Mandant das Gutachten ohne den von Ihnen konstruierten Scheinwiderspruch bestanden hätte.

 

 

 

Sie stellen dann jedoch ein negatives Gutachten aus und legen dem Mandanten dann noch abschließend und auch wieder ohne jeder wissenschaftliche Notwendigkeit 6 Monate Abstinenznachweise nahe, obwohl in der Hypothese D4 keine Abstinenznachweise gefordert werden (und hier liegt D4 klar vor).

 

 

 

Selbst bei der hypothetischen Annahme der Hypothese D3 (=keine Tatsachen vorhanden, die das rechtfertigen) sind 3 – 6 Monate Abstinenz vorgesehen und nicht zwingend 6 (Kriterium D 3.4 N Nr. 1-3, vgl Aufsatz von Kalus, Anlage, S. 17).

 

 

 

Ihre methodologische Unbekümmertheit führt bei meinen Mandanten mit guter Chance zur Existenzvernichtung, da er auf seine Fahrerlaubnis zwingend angewiesen ist.

 

 

 

Es darf ob dieses Umstands bei der Erstellung eines Gutachtens peinlichst genaue wissenschaftliche Arbeit erwartet werden. Stattdessen warten Sie mit einer methodologisch erstaunlich saloppen Handhabe auf, die irritiert."

 

 

 

 

 

Hierauf antwortete die Gutachterstelle nach wochenlanger Verzögerung und zwischenzeitlichen Verlusts der Fahrerlaubnis des Mandanten wegen Nichtvorlage des Gutachtens in gewohnt oberlehrerhaften Tonfall:

Die PIMA beruft sich also auf "wissenschaftliche Erkenntnisse" aus den Berurteilungskriterien.

 

Damit ist der wissenschaftliche Mangel (=keine Studien) nicht geheilt. Wie auch?

 

Die Inhalte der Beurteilungskriterien werden für heilig erklärt und unantastbar von der PIMA. Damit leistet diese einen wissenschaftlichen Offenbarungseid und ist sich offenbar keiner Schuld bewusst für diese methodische Frevelei.

 

Dann beruft sich die Gebietsleitung der PIMA auch noch auf diese Norm aus der sich ergäbe, man sei von Gesetzes wegen verpflichtet, auf eine veraltete Studie zurück zu greifen, deren Nichtübertragbarkeit wissenschaftlich betrachtet völlig  unzweifelhaft ist. Wie will man die Frage beantworten, wie lange sich THC COOH nachweisen lässt, wenn man nicht weiß, wieviel THC der Mandant wann konsumiert hat und wenn es zu diesem Konsumangaben keine auch  nur halbwegs passende Studie gibt?

 

In dieser Anlage 4 a Abs. I Nr. C FeV steht wortwörtlich:

 

"Die Untersuchung darf nur nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen werden"

 

Die Beantwortung der Frage "Wie lange lässt sich THC-COOH in Urin und Blut nachweisen?" ist wissenschaftlich nicht beantwortet worden für den Fall, dass auch nur 100 mg THC konsumiert worden sind.

 

Diese wissenschaftlichen Grundsätze werden durch die Anlage 4 a FeV gerade zwingend vorgeschrieben (Gutachten ist de lege artis anzufertigen!) und nicht durch Verweis auf ein veraltetes Buch für obsolet erklärt!

 

Es ist beschämend aus wissenschaftlicher Perspektive, was die PIMA Stuttgart da verlauten lässt in der Annahme, alles richtig gemacht zu haben. Es lässt tief blicken.

 

Sich die Erlaubnis zur eigenem Unwissenschaftlichkeit mit Verweis auf eine Norm zuzuschreiben, diese gerade Wissenschaftlichkeit einfordert, ist schon starker Tobak. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass durch dieses Verhalten die Grundrechte des PIMA Kunden massiv verkürzt werden (Verlust der Fahrerlaubnis durch dieses unentschuldbare Gebahren).

 

Die PIMA konstruiert also die Lüge des Mandanten unter Rückgriff auf veraltete und nicht übertragbare "wissenschaftliche Erkenntnisse" aus einem Buch, dass zu berücksichtigen ihr vermeinlich von einer Norm aufgezwungen wird, die wissenschaftliches Arbeiten gerade einfordert. Warum? Zum Schutz der Grundrechte in Dreiteufelsnamen!!!

 

Also zurück zur Gretchenfrage liebe PIMA Stuttgart:

 

Wie verhält sich der Wissenschaftler zur Methode?

 

Wollen Sie meine Meinung hören? Sie verhalten sich grob unredlich, wider der Wissenschaft, auf die Sie sich vermeintlich berufen und unter dem Blickwinkel, dass die Schutzsphären der Grundrechte durch strengste wissenschaftliche Objektivität zu schützen sind (auch und gerade dann, wenn es Ihren Pseudobibel der "Beurteilungskriterien" zuwider läuft) schlichtweg schändlich.

 

Man kann vor derlei Praktiken und Begutachtungsstellen nur warnen, wenn einem auch nur ein wenig an den Grundrechten liegt. Und an der Wissenschaft. Und an dem Umstand, dass Grundrechte ohne Wissenschaft wertlos sind und viel zu leicht zum Spielball gemacht werden von "Gutachtern" wie Ihnen.

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Rechtsanwalt Schüller (Sonntag, 14 August 2022 16:40)

    Dass die Herrschaften den Mandanten dann dem Grunde nach als rein gelegentlichen Cannabis Konsumenten qualifizieren (D4 = keine Abstinenznachweise erforderlich) und nur wegen der konstruierten Lüge in D3 einstufen (obwohl das auch nicht gerechtfertigt ist, da ein Verstoß gegen die Hypothese 0 nicht gleichzeitig zur Verortung in D3 berechtigt) und eine Abstinenzempfehlung geben, rundet das ganze Bild noch ab. Vgl zur Frage der notwendigen Abstinenzzeit: https://tinyurl.com/bdfvhrxx . Zur PIMA Stuttgart würde ich jedenfalls nicht gehen, wenn ich den Anspruch habe auf eine objektive Einschätzung meines Falles.

  • #2

    Christian (Mittwoch, 17 August 2022 22:10)

    Man kann es kaum glauben, dass die tatsächlich so wider jeder wissenschaftlichen Logik handeln. Entweder man hat Studien oder man hat keine.

    Hier auf die "Beurteilungskriterien" zu verweisen, die ja auch den Studienmangel nicht heilen, ist ein Affront für jede Person, die sich der Wissenschaft verpflichtet fühlt.

    Eine Schande, dass die für solche Gutachten Geld nehmen.

  • #3

    Rechtsanwalt Schüller (Montag, 22 August 2022 14:00)

    "Gut"achten ist schon ein sonderbares, unpassendes Wort in dem Kontext...