Die Gutachtergilde befindet ja manchmal etwas freischweibend im luft- und sinnleeren Raum über die Konsummuster der eigenen Klienten.
Da kann man nicht selten trefflich streiten, aber das ganze Fahrerlaubnisrecht ist rund um das Thema Cannabis nunmal bekannterweise eine Spielwiese für kluge oder halbkluge Leute aller Art.
Manchmal kann man die Herleitung eines Ergebnisses der Begutachtung aber nur als Fiasko bezeichnen.
In einem hier aktuell auf dem Tisch liegenden Fall liest man da seitens der Pima MPU GmbH Berlin folgendes (Hintergrund: Mandat hatte eingeräumt, mit 2 Freunden einen Joint geraucht zu haben. 10 Züge habe er genommen. Keine Angaben darüber, ob Gras oder Haschisch drin war, keine Angaben zu der ungefähren Menge. Mandant gab an, erstmalig geraucht zu haben und zwar 3,5 Stunden vor der Blutabnahme durch den Arzt, der seitens der Polizei ins Revier gebeten wurde.):
"Zur aktenkundigen Drogenauffälligkeit am xx.xx.2016 gab Herr Y folgendes an: Cannabis am Delikttag um 13.00 Uhr. 10 Züge eines Joints (1/4 Gramm) - mit zwei Freunden geteilt, d.h. 1/3 von 1/4 = 1/12 g.
Herr Y wurde hinsichtlich seines früheren und jetzigen Drogenkonsums befragt. Er berichtete, erst- und einmalig am Delikttag gegen 13.00 Uhr mit zehn Zügen eines Joints (1/4 g) mit zwei Freunden geteilt, d.h. 1/3 von 1/4 g = 1/12 g konsumiert zu haben."
Daraus bastelt Herr Dr. S von der Pima Berlin folgendes Ergebnis (und die Herleitung muss schon als abenteuerlich bezeichnet werden):
"IV. Bewertung der Befunde:
...Chemisch-toxikologische Befunde, die zu den Angaben im Widerspruch stehen, waren der behördlichen Akte zu entnehmen. Die Angabe eines Konsums von nur 10 Zügen eines Joints (1/4 g) - mit 2 Freunden geteilt, d.h. 1/3 von 1/4 g (1 Joint) = 1/12 g widerspricht den aktiven THC mit 3,5 (zu geringe Menge) und dem Sammelwert der THC-Carbonsäure mit 39,0 (Zeitabstand von nur 3,4 Stunden zwischen Einnahme 13.00 Uhr und der Blutentnahme 16.38 Uhr - zu kurz).
Es muss sich um einen höheren und mindestens 2maligen Konsum gehandelt haben. ..."
Das Gutachten musste vorgelegt werden, es drohte Verfristung. Der Pima habe ich daraufhin folgendes geschrieben:
"Mein Mandant hat Ihnen gegenüber nicht erwähnt, dass der gerauchte Joint ¼ Gramm Cannabis enthalten habe. Es handelt sich um eine Unterstellung des Gutachters – zudem ist nicht die Menge des konsumierten Cannabis, sondern die des konsumierten THC relevant – davon findet sich kein Wort in diesem Gutachten.
Es wird darauf hingewiesen, dass etwa das VG Oldenburg (Urteil vom 17.02.2004, SVR 2004, 398) davon ausgeht, dass pro Joint 0,5 – 1 Gramm Cannabis gebraucht werden. Von 1 Gramm gehen auch Berr/Krause/Sachs (Drogen im Straßenverkehr, S. 250, Dr. rer. nat Hans Sachs ist Sachverständiger für Forensische Toxikologie in München).
Andere Gerichte berechnen (korrekterweise!) die Menge an Cannabis pro Joint unter Berücksichtigung des Wirkstoffgehaltsgehalts und kommen so zu variablen Ergebnissen.
Hierzu fehlen bei Ihren oberflächlichen und laxen Ausführungen jegliche Hinweise. Es wird einfach von ¼ Gramm ausgegangen, dieser Wert wurde zudem wegen der anderen Beteiligten auf 1/12 Gramm heruntergerechnet.
Der Gutachter hat nicht einmal gefragt, ob es sich um ein Tabak/Cannabis oder um eine sog. „Purtüte“ gehandelt hat, die ohne Tabak als Trägersubstanz gedreht wurde. Und dass die Berliner Durchschnittstüte 0,25 Gramm Cannabis enthält, ist mir auch neu, wo steht das?
Laut Ausführung das Gutachters sei ein THC COOH Wert von vorliegend 39 ng/ml nicht zu erklären – jedenfalls nicht unter Zugrundelegung der von mir kritisierten, allzu schematischen Berechnungsgrundlage.
Laut Huestis/Henningfield/Cone (Blood Cannabinoids, 1. Absortion of THC and formation of 11-OH-THC and THC COOH during and after smoking marijuana, S. 276 ff.) kann selbst bei einer Aufnahme von nur 3,55 mg THC ohne weiteres ein THC COOH Wert jenseits von 50 erreicht werden. Bei einer höheren Aufnahme von THC können diese Werte sich leicht verdoppeln.
Ohne Rückgriff auf die zugeführte Menge an THC verbietet sich aber eine Aussage darüber, ob ein gemessener THC COOH Wert mit einer (darüber hinaus auch noch zu Lasten meines Mandanten zu niedrig bemessenen) Menge von Cannabis in Gramm erklären lässt oder nicht.
Es ist doch wohl nicht ernsthaft Ihre Überzeugung, Rückrechnungen hinsichtlich eines THC COOH Wertes nur anhand der vermeintlich konsumierten Menge an Cannabis anzustellen und kein Wort darüber zu verlieren, dass es a) Cannabis mit unterschiedlichen THC Gehalten von ca. 2 – 25 % gibt und b) die bei Ihnen zugrunde gelegte Menge an Cannabis auf einer Schätzung beruht.
Da sich auch das THC bedeutend schneller im Blut abbaut als der Hauptmetabolit THC COOH, ist auch die Behauptung des Gutachters, ein Wert von 3,5 ng/ml sei ca. 3,5 Stunden nach Konsumende zu niedrig, nicht nachvollzogen werden. Ausdrücklich weise ich darauf hin, dass ich diese Aussage für falsch halte.
In diesem Zusammenhang weise ich nochmals auf die Forschungen von Huestis/Henningfield/Cone (a.a.O., vgl. auch VGH Bayern, Beschluss 27.03.2006, AZ 11 Cs 1559/05, Beschluss S.10) hin:
Dort wurden bei 2 von 6 Probanden nach inhalativer Einnahme eines Joints (Cannabis mit dem THC Wirkstoffgehalt von 3,55 %) 2,5 Stunden nach dem Rauchen THC COOH Werte von 76 und 82 ng/ml gemessen (die Probanden waren Erstkonsumenten).
Insofern erscheint es keinesfalls ausgeschlossen, dass nach 3,5 Stunden noch ein Wert von 39 ng/ml THC COOH vorliegt. Vielmehr ist dies sogar durchaus als normal zu bezeichnen und stellt keine unübliche Abweichung dar.
Laut diversen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen lässt sich unterhalb einer Grenze von 100 (oder gar 120!) ng/ml THC COOH keine Aussage über ein Konsummuster als einmalig oder gelegentlich treffen.
Um es nochmal zu verdeutlichen: Die Auffassung Ihres Gutachters, die gemessenen Werte ließen sich nicht mit einem einmaligen Konsum erklären, sind nicht haltbar.
Insbesondere gibt es auch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die einen aktiven Wert von 3,5 ng/ml THC bei einem THC COOH Wert von 39,0 ng/ml THC COOH und nach Zeitablauf von 3,5 Stunden entgegen stünden. Aus dem Verhältnis 3,5 zu 39 lässt sich der zumindest gelegentliche Konsum nicht ableiten und aus dem Zeitablauf auch nicht.
Insgesamt wiegt aber die Nichtnennung eines THC Wertes meines Erachtens am schwersten. Und zwar so schwer, dass man hier nicht mehr davon sprechen kann, dass Sie Ihren vertraglichen Hauptpflichten nachgekommen sind, die nunmehr auch und gerade darin bestehen, ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten anzufertigen, welches transparent und nachvollziehbar ist.
Das wird von der hiesigen Seite nicht akzeptiert. Ich gebe Ihnen hiermit die Möglichkeit die Möglichkeit der Nacherfüllung. In welcher Weise die erfolgt, überlasse ich zunächst Ihnen.
Ich erwarte, dass Sie mich umgehend darüber informieren, wie wir in der Sache weiter verfahren. Über die dem Gutachten zugrunde liegende Mängel sollte die Fahrerlaubnisbehörde Ihrerseits aufgeklärt werden."
Kurz darauf meldete sich eine verantwortliche Person der Pima GmbH bei mir telefonisch und räumte ein, dass ich Recht habe und dass das Gutachten schlecht ist und der Gutachter nachgeschult werden müsse.
Das Problem an der Geschichte ist, dass die Fahrerlaubnisbehörde in Berlin sich die Sache einfach macht und sagt "wir gehen davon aus, dass das Gutachten richtig ist." Klar, so kann man das auch sehen, die Fahrerlaubnis SOLL ja entzogen werden - wer will sich da schon mit Detailfragen die vorweihnachtliche Stimmung versauen lassen?
Die Pima wurde angewiesen, der Fahrerlaubnisbehörde daurauf hinzuweisen, dass sich aus dem Gutachten der zumindest gelegentliche Konsum gerade nicht ergibt, ob das hilft, wird abzuwarten sein. Die Behörde hat aufgrund des Gutachtens der Pima MPU GmbH das Entziehungsverfahren eingeleitet.
Es ist deshalb sinnvoll, jedes Gutachten kritisch zu hinterfragen, denn es finden sich häufig haarsträubende Fehler. Ein zusammengeschustertes Möchtegerngutachten wie hier hat allerdings Seltenheitswert und gehört sicherlich in die "Best of" Sektion meines Sammelbändchens über die Machwerke der Gutachtergilde. Es ist durchaus erlaubt, hier kritisch zu hinterfragen - es geht schließlich um die Fahrlaubnis.
Man muss wissen, dass solche Gutachten seitens der Behörde regelmäßig nicht auf Plausibilität geprüft werden. Vielmehr wird dann nur das Ergebnis angeschaut und das heißt dann: Gelegentlicher Konsument. Mit dem fehlenden Trennungsvermögen ergibt das dann: Fahrerlaubnisentziehung.
Antwort des Behördenmitarbeiters auf dieses Schreiben:
"Sehr geehrter Herr Schüller,
ich habe nun das Schreiben der pima-mpu GmbH, welches im Wesentlichen Ihre schriftlichen Angaben vom 20.12.2016 teilt, erhalten.
Da jenes „falsche“ Gutachten offenbar gänzlich nicht verwertbar ist, bedarf es einer korrigierten Fassung desgleichen. Die schriftliche Stellungnahme der fachlichen Leitung der Verkehrsmedizin, freigegeben durch den Gebietsleiter, dass infolge der unkorrekten Beurteilung der Angaben des Betroffenen ein Rückschluss auf dessen gelegentlichen Konsum von Cannabis nicht zulässig ist, ist unzureichend.
Da das Gutachten in Gänze eines inhaltlichen Fehlers unterliegt, muss dieser entsprechend korrigiert werden. Das korrigierte Gutachten ist mir bitte nach Möglichkeit und unter Rücksichtnahme auf die Feiertage bis zum 20.01.2017 vorzulegen. Das Verfahren um die beabsichtigte Entziehung der Fahrerlaubnis des Herrn X wird derweil ausgesetzt.
Gründe dafür, dass eine zeitgerechte Gutachtenerstellung nicht möglich sei, sollten von der Begutachtungsstelle schriftlich dargelegt werden.
Mit freundlichen Grüßen
...."
Darauf reagierte die Pima freundlicherweise mit einer Richtigstellung. Das Ergebnis stammte nicht wie beim Gutachten vorher aus dem Blick in die
Glaskugel und Milchmädchenrechnungen, sondern es wurde sich offenbar an die Fakten gehalten. Und Einmalkonsum liest sich nunmal besser als zumindest gelegentlicher Konsum. Jedenfalls für die
Personen, die ihre Fahrerlaubnis behalten wollen.
Daraus ergibt sich bei der Fahrerlaubnisbehörde dann folgendes:
Ende gut, alles gut. Es ist meiner Erfahrung nach immer gut, sich die Gutachten von TüV, PIMA, Dekra oder wie sie alle heißen mal genauer anzuschauen, denn nicht nur die Anordnung zum ärztlichen Gutachten sind oft fehlerhaft, die Gutachten sind es auch. Zum nicht unbedeutenden Teil grob fehlerhaft. Dann kann man unter dem Strich oft die Fahrerlaubnis behalten und das ist ja auch schon was...
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Psychologe (Sonntag, 12 Mai 2019 01:54)
Man darf bei bei diesem ganzen ach so tollen RA Bericht nicht vergessen, dass der Typ unter Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt hat. Und das wiegt noch schwerer als die Diskussion darüber ob er einmal oder zweimal konsumiert hatte Herr Anwalt
Foobar (Sonntag, 21 Juli 2019 10:20)
Herr Psychologe, Sie übersehen, dass davon ausgegangen werden darf, dass der Beschuldigte für dieses Vergehen auch eine Strafe erhalten hat und nach Gutdünk seine Lehre daraus gezogen hat. Sie übersehen überdies, dass bei einem einmaligen, leichten Vergehen mit legalen Drogen auch nicht gleich der Führerschein entzogen wird. Hier findet eine Ungleichbehandlung statt.
Es ging dem Herrn Anwalt sicherlich mitnichten darum, die begangene Tat kleinzureden, sondern nur um eine verhältnismäßige Klärung der Angelegenheit, Herr Psychologe.
Vielleicht sollte man Ihrer Meinung nach immer gleich bei allen Delikten die Maximalkeule ausfahren. Torkelnder Fußgänger, der an einer Hauptverkehrstraße aufgegriffen und potentiell den Straßenverkehr gefährdet? Warum nicht gleich für 6 Monate in den Knast, Herr Psychologe?
Für Ihren Frust und das vollkommene Übersehen der Verhältnismäßigkeit kann keiner was. Vielleicht sollten Sie Ihrerseits mal mit einem Psychologen sprechen?
Psychologe (Samstag, 11 Dezember 2021 19:40)
@Psychologe:
Umso mehr ist hier die anwaltliche Leistung, ein positives Gutachten zu erkämpfen, zu würdigen. Ein anderer RA hätte ein so positives Ergebnis nicht herbeiführen können.