Schmerzpatienten und die "gerechte Strafe" - juristische und humane Sichtweisen lassen sich nicht immer in Einklang bringen
Im Zuge der Durchsuchungswelle nach der HD u.a. bei Euphoria Hannover melde sich vor einiger Zeit ein Kunde dieses Shops der dort u.a. Raubmilben bestellt und deswegen in der Folge die Polizei zu Besuch
hatte.
Der Mandant hatte 1993 einen schweren Arbeitsunfall. Er fiel aus 14 - 15 Meter von einem Baum und zertrümmerte sich im Bereich der Schulter so ziemlich alles, was man sich zertrümmern kann. Die Folge waren u.a. chronische schwere Schmerzen, die bis zum heutigen Tage nicht besser wurden. Es schlossen sich depressive Verstimmungen mit ausgeprägter Appetitlosigkeit an, da die Schmerzen sich wie ärztlich festgestellt nach wie vor im abnormen Bereich lagen und immer noch liegen.
Er musste unter anderem Morphin, Tilidin, Buprenorphin, Amitriptilyn, Celecoxib nehmen, um weiterhin arbeiten und seine Familie samt 3 Kindern ernähren zu können. Auf viele der Arzneimittel
reagierte er mit starker Übelkeit, und das morgendlliche Erbrechen war ebenso Ritual wie das Zähneputzen. Irgendwann kam er dann mit Cannabis und vor allem der schmerzreduzierenden Wirkung in
Kontakt...rauchte fortan alle paar Tage einen Joint (wegen des gesteigerten CBD Gehalts liess er das Cannabis mehrere Wochen überblühen), was die Linderung verschaffte, die die genannten
Medikamente nicht verschaffen konnten.
Der Mandant baute deshalb schwere Indica Sorten zum Eigenkonsum an...dies half: Gegen die Schmerzen. Gegen die Appetitlosigkeit. Gegen die depressiven Verstimmungen. Gegen die Übelkeit
morgens.
Klingt gut soweit, oder? Cannabis zur Eigenbehandlung. Die Frage ist nur: Wie wird damit umgegangen, wenn bei der Hausdurchsuchung Cannabis mit einem Gesamt THC-Gehalt von ca 20 Gramm gefunden
wird?
Menschlich und rational betrachtet kann und darf es nicht strafbar sein, sich selber so zu medikametieren, dass ein erträgliches Leben die Folge ist. Eigentlich klar.
Rechtlich betracht sind wir aber im Bereich der nicht geringen Menge, also stand als Mindeststrafe ein Jahr im Raum. Der Versuch, mit einem rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB einen
Freispruch zu erreichen, war wie in vergleichbaren Fällen nicht von Erfolg, da mein Mandant sich nicht vorher um eine Ausnahmegenehmigung bei der Bundesopiumstelle gekümmert hat...und eben dies
soll Voraussetzung sein für die Prüfung dieses Rechtfertigungsgrundes.
Also blieb nur noch der Weg über den minder schweren Fall des § 29 a Abs. II BtMG mit seinem reduzierten Strafmass von 3 Monaten bis zu fünf Jahren.
Wer sich also erfolgreich selber medikamentiert und sich aus den Fängen der Pharmaindustrie und deren manigfaltigen Produkte löst, der kann immerhin auf einen minderschweren Fall hoffen. Das ist ein fauler Kompromiss und fühlt sich als Verteidiger sehr schal an.
Aber das Amtsgericht Hildesheim hat sich darauf eingelassen - den Hinweis auf die gescheiterte Drogenpolitik und der damit verbundenen Erkenntnis, Teil eines überflüssigen wie
menschenverachtenden Systems zu sein, kann sich das Gericht sich selbst gegenüber natürlich leichter rechtfertigen, wenn es dem Angeklagten mit "Güte" gegenüber tritt und erkennt, dass hier eine
geringere Bewährungsstrafe eigentlich auch ausreicht. So sieht sie aus, die juristische Realität. Mein Mandant war mit 6 Monaten auf Bewährung jedenfalls sehr zufrieden und wollte nicht, dass ich
ins Rechtsmittel gehe.
Als die Staatsanwältin in ihrem Abschlussplädoyer (vor ca 30 Schulkindern, die als Gäste da waren), dass Schmerzen zwar unangenehm aber kein Rechtfertigungsgrund oder ein Strafminderungsgrund
seien, lief es mir recht kalt den Rücken runter. Es verwundert also nicht wirklich, dass von der Seite der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt wurde mit dem Argument, die Strafe sei zu niedrig
(und das dort, wo jede Strafe unangemessen ist).
Nun geht es also in die 2. Instanz und ich gehe davon aus, dass sich mein Mandant nicht verschlechtert, ob es den kaltherzigen Vertretern der StA nun passt oder nicht. Vielleicht werden sie selber ja mal mit chronischen Schmerzen konfrontiert. "Lernen durch Schmerz" heißt es doch - vielleicht kommt man auch dort früher oder später zu der Erkenntnis, dass es neben den Erkenntnissen aus Lehrbüchern und Strafrechtskommentaren noch etwas gibt, dass sich nicht lernen lässt und das vielen Bereichen des Strafrechts zu oft ausgeblendet wird: Einer menschlichen Betrachtungsweise von Lebenssachverhalten und ein und eine daraus Handlungsweise, die sich nicht in dem immer wieder sklavischen reproduzierten Hinweis auf die "geltende Rechtslage" erschöpft.
Über 120 Strafrechtsprofessoren
wissen, dass die Drogenpolitik gescheitert ist. Nur im alltäglichen juristischen Betrieb vor den Amtsgerichten der Republik ist es den zuständigen Richtern offenbar nicht bekannt, dass es
auch sowas wie die konkrete Normenkontrolle gibt, die es dem Gericht erlaubt, das Verfahren auszusetzen und das BVerfG einzuschalten, wenn es von der
Rechtswidrigkeit eines Gesetzes überzeugt ist. Aber das ist natürlich anstrengend und es schadet im Zweifel auch nicht der eigenen Karriere sich dort unter Hinweis auf die Unabänderlichkeit des
derzeitigen status quo vornehm zurückzuhalten. Es ist so wie es ist. Ganz schön kurios, sich anhand solch aufdrängender Ungerechtigkeiten so einfach aus der Affäre zu ziehen. Gleichwohl ist dies
leider vollkommen üblich.
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