Cannabis zur Schmerzlinderung und der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB
Im Rahmen des § 34 StGB ist fraglich, ob sich Schmerzpatienten hierauf berufen können, wenn Sie etwa angebaut haben, um sich selber zu therapieren.
§ 34 StGB ist ein sogenannter "Rechtfertigungsgrund", wenn dieser eingreift, geht der betreffende Schmerzpatient am Ende straffrei aus dem Prozess.
Hier ist vieles noch im Fluß und man kann keine klare Aussage machen, unter welchen Voraussetzungen ein Rückgriff auf den rechtfertigenden Notstand möglich ist. Gleichwohl gibt es einige interessante Urteile zu der Thematik.
Einigkeit scheint unter den Juristen nur in einem Punkt zu bestehen: Die Prüfung des § 34 StGB soll nur dann möglich sein, wenn man vor der betreffenden Tat aus dem Katalog des §§ 29 f. BtMG ein Erlaubnisverfahren vor dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ("BfArM" = Bundesopiumstelle) angestrengt hat mit dem Inhalt, eben die zur Rede stehende Tat (zB Anbau von Cannabis zur Eigenbehandlung) von der zuständigen Behörde erlauben zu lassen.
Wer sich daran nicht hält, kann sich später den Versuch sparen, mit Rechtfertigungsgründen zu argumentieren, dies ist spätestens seit dem sog. "Erlaubnisurteil" des Bundesverwaltungsgerichts weitestgehend unbestritten, dass der Weg zu diesen dann nicht mehr offen ist. Wer eine Kontrollinstanz ihrer Befugnis zur Kontrolle "beraubt", der soll in der Folge auch nicht in den "Genuss" von Rechtfertigungsgründen kommen, so wird argumentiert.
Wenn das BfArM den Antrag ablehnt, geht der Streit weiter: Manche wollen den Rückgriff auf § 34 StGB erst recht versagen, andere (so etwa das OLG Köln (StraFO 1999, 314) haben bei der Interessenabwägung bei der Prüfung des § 34 StGB Wertungen im Blick, die außerhalb dieser Norm liegen (im konkreten Fall solche Wertungen, die sich in den Bestimmungen über die Verkehrsfähigkeit von BtM niedergeschlagen haben).
Die ablehnende verwaltungsrechtliche Entscheidung soll die Entscheidung des Strafgerichts einschränken. Dies haben viele Gerichte offenbar noch nicht erkannt. Wenn sie es aber erkannt haben und diese Einschränkung ablehnen, so ist klar, dass jedes Gericht andere Ideen und Vorstellungen darüber haben kann, wie die hohen Anforderungen und strengen Voraussetzungen für die Anwendung des § 34 StGB konkret aussehen sollen und wie sie mit dem extrem unbestimmten Abwägungsgut der "Volksgesundheit" (Schutzgut des BtMG) in Einklang zu bringen sind. Eine klarstellende Entscheidung des BGH dazu gibt es nicht. Vereinfacht kann man sagen, dass sich die unklare Lage auf Seiten der Verwaltung nahtlos bei den Gerichten fortsetzt.
Dies wissen auch die Gerichte, so etwa das AG Berlin-Tiergarten, das es etwas verzweifelt auf den Punkt bringt:
"Der Strafprozess ist nicht der geeignete Ort, um den Betroffenen eine legale Lösung ihrer erheblichen Probleme zu verschaffen. Es kann nicht angehen, dass den Betroffenen in Fällen vergleichbarer Art im Verwaltungsrechtsweg die Erlaubnis nach § 3 BtMG und damit die Möglichkeit zur legalen Nutzung von Cannabis versagt wird, die Sozialgerichte die Kostenübernahme für legale THV-haltige Medikamente ablehnen und das Strafgericht dem dadurch in die Illegalität getriebenen Betroffenen sagen soll, was er zu tun hat."
Tja. Eine klare Regelung ist nicht in Sicht. Trotzdem oder gerade hier mal ein paar einzelne Gerichtsentscheidungen zu dem Thema:
Gericht | Leitsätze |
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Strafrecht | |
LG Mannheim v. 20.03.2003 - 6 Qs 14/02 | Hier wurde der Notstand schon mit der simplen Begründung abgelehnt, dass THC-Medikamente zur Verfügung stehen und es deshalb keines Rückgriffs auf das Cannabis in seinem Naturzustand bedurfte. Keep it simple, mögen sich die Richter gedacht haben. |
AG Berlin Tiergarten v. 28.04.2004 (284) 6 Op Js 2234/02 Ls (26/03) | Notstand bejaht bei einem Schwerstkranken (Aids, Hepatitis C, Leberzirrhose), der keine Ersatzpräparate einnehmen konnte (die von der Krankenkasse auch nicht bezahlt worden wären. Trotz 962 g Cannabis mit 23 g THC (ziemlich schlechtes Cannabis also) kam es zu einem Freispruch. |
AG Bernau v. 11.03.2002 - 3 Cs 224 Js 36463/01 (387/01) | Vorlagebeschluss zum BVerfG mit der Frage, ob die Strafvorschriften des BtMG grundrechtskonform seien. Die Antwort des BVerfG zeigt wieder einmal, wie gerne dieses Gericht solche Fragen an formalen Fragen scheitern lässt und damit zu erkennen gibt, dass es sich nicht als Art Superrevisionsinstanz für eine Drogenpolitik sieht, wie sie im Moment vorherrscht. Der Tenor ist klar und immer wieder bei den Entscheidungen aus Karlsruhe herauszulesen: Es ist Sache der Politik, die Gesetze zu ändern oder eben nicht. Da sich die Politik aber nicht damit beschäftigt bzw eine Legalisierung oder nur eine Entschärfung in Sachen Cannabis herbeizuführen, sind die lauten Rufe, man solle als Betroffener alles bis zum BVerfG durchfechten zwar nachvollziehbar aber ein ergebnisoffenes Verfahren wird dies im Einzelfall nicht sein. |
OLG Köln v. 26.02.1999 S 51/99-23 |
Bei der Abwägung innerhalb des § 34 StGB seien die zur Rede stehenden gesetzlichen Strafnormen und die in ihnen liegenden Wertungen zwingend zu beachten, Da die Bestimmungen des BtMG eine Verkehrsfähigkeit von BtM oft nicht vorsehen, soll § 34 StGB nur dann anwendbar sein, wenn eine so atypische und schwere sowie exorbitante Gefahr vorliegt, dass die Rechtfertigung im Ausnahmefall vertretbar erscheint. |
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AG Mannheim v. 15.05.2003 - 1 Ls 310 Js 5518/02 | Notstand möglich, wenn die Krankenkasse die Kosten nicht übernimmt und die entsprechende Klage auf Kostenübernahme beim Verwaltungsgericht anhängig ist. Der Betroffene hatte nur für die eigene Schmerztherapie angebaut und nichts verkauft bzw. Dealer bereichert oder andere Drogenkonsumenten in ihrem Tun bestärkt (so steht es echt geschrieben). Ein gutes Urteil, von klarem Verstand geprägt, mag man sich denken. Anders dachte aber die nächste Instanz, die das Urteil in der Folge gleich wieder aufhob. Siehe: |
OLG Karlsruhe v. 24.06.2004 - 3 S 187/03 |
Das OLG stellt die Geeignetheit der Notstandshandlung in Frage, die Wirksamkeit von Cannabis auf Ataxien sei nicht deutlich genug erklärt bzw nachgewiesen worden. Es sei dem Gericht deshalb nicht erkennbar gewesen, ob und in wie weit Cannabis dem Patienten überhaupt bei dessen Bewegungsstörungen helfen könne (darauf, dass es ihm aus seinem Empfinden heraus half, kommt es bei so einer anylytisch-kühlen Betrachtung natürlich nicht an). |
KG v. 01.11.2001 - (4) 1 S 39/01 | Wenn sich der Angeklagte auf § 34 StGB beruft und argumentiert, er konsumiere Cannabis zur Schmerzlinderung seit über 10 Jahren, weil kein anderes Medikament helfe, so ist es Sache des Tatrichters, festzustellen, dass eine alternative Behandlungsmöglichkeit doch bestanden hat, wenn er den Rückgriff auf §§ 34, 35 StGB versagt. |
KG v. 18.11.2002 - (4) 1 S 273/02 | Das Schöffengericht war den Meinung, nur derjenige könne sich auf § 34 StGB berufen, der vor Beginn der Selbstbehandlung mit Cannabis einen Antrag beim BfArM gestellt hat. Dies sei rechtsfehlerhaft. |
Verwaltungs- und Sozialrecht | |
BVerfG v. 20.01.2000 NJW 2000, 3126 und v. 30.06.2005 - 2 BvR 1772/02 | Die medizinische Versorgung der Bevölkerung kann ein öffentlicher Zweck sein, der die Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann. |
LSG Baden-Württemberg v. 25.04.2003 - L 4 KR 3828/01 | Es besteht keine grundsätzliche Erstattungspflicht für Dronabinol seitens der Krankenkassen. |
BVerwG v. 19.05.2005 NJW 2005, 3300 | Das BfArM kann den Antrag einer an Multipler-Skerose erkrankten Person zum Erwerb von Cannabis nicht mit der Begründung ablehnen, dass diese Form der Medikamentation nicht im öffentlichen Interesse liege. (Wenn man weiß, dass viele Leidende echte Linderung durch Cannabis erfahren, kann man über die Bürokratenhengste dieser Republik und deren §§-Arithmetik nur die Faust in der Tasche ballen, so zynisch und kaltherzig ist das). |
BVerfG, 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 | Laut Ansicht des Gerichts ist es mit Art. 2 Abs.1, 2 GG iVm dem Sozialstaatsprinzig unvereinbar, den Einzelnen einerseits über § 5 SGB V einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und ihn dann, wenn er lebensbedrohlich oder gar tödlich erkrankt ist und keine typischen schuldmedizinischen und wirksamen Behandlungsmethoden mehr vorliegen, von der Leistung der Krankenkasse für eine andere Behandlungsform (=Cannabis) auszuschließen und ihn auf die Eigenfinanzierung seines Bedarfs zu verweisen. Dies gelte aber nur, wenn Indizien für eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf sprechen. |
OVG NRW v. 23.03.2007 - 13 E 1542/06 | Das Gericht befand, dass der Antrag auf Genehmigung des Anbaus von Cannabis aus medizinischen Gründen nach § 3 Abs. 2 BtMG dann abgelehnt werden muss, wenn nicht ausreichend klar gemacht wurde, dass der Anbauraum bzw die Aufbewahrungsbehältnisse für das Cannabis ausreichend gesichert sind, um auszuschließen, dass Unbefugte diese wegnehmen. Allzu hohe Sicherungsmaßnahmen seien aber von Privatpersonen nicht zu fordern. |